Warum wir kein Start-up sind.

Start-ups werden zu sehr idealisiert, sagt Klaus Engberding, CEO der EOS Gruppe: Wer Verantwortung für viele Menschen trägt, muss differenzieren.

Als Konzernchef sollte man das heutzutage nicht sagen, aber: Ich möchte bei EOS keine reine Start-up-Mentalität haben. Jedenfalls nicht in all den Ausprägungen, die ich damit verbinde.

Ja, ich schätze viele der Qualitäten, die man Start-ups zuschreibt. Agilität, Unternehmergeist, einfach mal ausprobieren, Fehler machen dürfen. Diese Kultur wollen wir bei der EOS Gruppe, denn sie führt zu der Dynamik, die wir brauchen. Entscheidungen müssen dort getroffen werden, wo die Menschen mit der meisten Expertise sitzen – und das ist nicht immer unbedingt die Führungsetage. Dafür ändert sich die Welt zu schnell.

Aber ein Unternehmen wie EOS definiert sich über ein tragfähiges Geschäftsmodell. Viele Start-ups dagegen definieren sich vorzugsweise über ihre technische Expertise. Fragen wie „Gibt es für diese Lösung auch ein relevantes Problem?“ oder „Ist jemand bereit, für meine Problemlösung zu bezahlen?“ stellen sich zu spät, manchmal auch gar nicht. Und nicht immer kennen die Gründerinnen und Gründer die Märkte, die sie revolutionieren wollen, so gut, wie es nötig wäre.

Warum EOS kein Start-up ist – und dennoch nicht weniger agil: Klaus Engberding, CEO der EOS Gruppe.
Das Streben nach Erfolg ist wichtig – aber nicht um jeden Preis, sagt Klaus Engberding, CEO der EOS Gruppe.

Nicht jeder Start-up-Gründer ist ein Vorbild.

Wir bei EOS verzichten auf gewisse Freiheiten, die für ein Start-up selbstverständlich sind. Vor allem die Freiheit, alles zu tun – und auch wieder sein zu lassen. Diese Freiheit ist lange rückhaltlos bejubelt worden, inzwischen mischen sich kritischere Töne in den Chor. Denn diese Kultur fördert eben nicht nur Innovatoren und Innovatorinnen.

Für uns als nachhaltig aufgestelltes Unternehmen ist es selbstverständlich, dass alle Stakeholder vom Geschäftserfolg profitieren. Shareholder und Kapitalgeber durch Renditen, die Belegschaft durch sichere Jobs, Führungskräfte über langfristige Anreizstrukturen. Bei Start-ups dagegen partizipieren die Beteiligten vor allem erst einmal am Risiko. Scheitert die Firma, verlieren die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Jobs, die Anleger ihr Investment – und die Gründerinnen und Gründer die Chance, ihre Vision umzusetzen.

Dieser Druck treibt sie dazu, wieder und wieder die nächste Finanzierungsrunde anzustreben, wieder und wieder ihre Lösungen als „Disruption“ anzupreisen – manchmal wider besseres Wissen, getrieben nur von der Hoffnung. Und manchmal auch vom Streben nach einem profitablen Exit mit dem Geld anderer, ohne eigenes Risiko.

Dass 99 % aller Start-ups scheitern, mag für Wagniskapitalgeber in Ordnung sein. Sie kommen mit wenigen Überfliegern trotzdem auf ihre Rendite. Für mich als Unternehmer ist eine Erfolgsquote von einem Prozent kein Vorbild. Unser Anspruch bei EOS ist, dass Innovationen funktionieren, und zwar in einem stabilen wirtschaftlichen Rahmen. Auch das unterscheidet uns von Start-ups: Unsere Innovations-Teams haben nicht die nächste Finanzierungsrunde im Hinterkopf. Deswegen sind sie nicht weniger agil oder risikofreudig. Aber sie müssen ihre Arbeit nicht überverkaufen.

Warum EOS kein Start-up ist – und dennoch nicht weniger agil: Mehrere Personen bei einem Meeting.
Interdisziplinäre Teams arbeiten bei EOS an innovativen Ideen – in einem stabilen wirtschaftlichen Rahmen.

Echte Disruptionen sind selten.

Ein guter Freund von mir ist Wagniskapitalgeber. Ich habe große Freude daran, mit ihm gemeinsam die Businesspläne der Start-ups zu sichten, die vor seiner Tür stehen. Meine persönliche Faustregel dabei lautet: Wenn wir die Umsatzprognose halbieren und die Kostenschätzung verdoppeln, muss immer noch eine schwarze Null herauskommen. Gründerinnen und Gründer, die diese Herausforderung annehmen, finde ich interessant.

Schwerer tue ich mich mit denjenigen, die allzu enthusiastisch verkünden, sie würden eine Branche revolutionieren. Nur weil ich ein bestehendes Geschäft mit KI, Blockchain oder einer anderen gehypten Technologie paare, habe ich nicht automatisch einen Produktvorteil und auch keine Disruption.

Wie wir Start-up-Denken anwenden.

Wenn wir neue Trends oder Technologien sehen, die unser Geschäft verändern könnten, stellen wir uns drei Fragen, die sich auch ein Start-up stellen sollte:
1. Bietet sich hier eine Lösung für ein Kundenproblem?
2. Ist sie besser als die bestehenden Problemlösungen?
3. Zahlt jemand für diese neue Lösung?

Um diese Fragen schnell zu beantworten, setzen wir interdisziplinäre Teams ein, die uns schnell zu einer Einschätzung bringen. In diesem Sinne haben wir uns zum Beispiel vor fünf Jahren zum ersten Mal mit Bitcoin beschäftigt. Dass daraus so schnell kein relevantes Zahlungsmittel werden würde, war uns klar. Aber dass wir mit Blockchain eine Technologie an der Hand haben, die ein riesiges Potenzial für fälschungssichere Dokumentationen bietet, die gleichzeitig transparent und datenschutzkonform sind – davon sind wir überzeugt, und daran arbeiten wir.

Das Wort „Disruption“ benutzen wir dabei nicht. Aber wir sind ja auch kein Start-up.

Photo Credits: Jann Klee / EOS, Sebastian Vollmert / EOS