Reduzieren Blockchain-Systeme den Aufwand für Know-Your-Customer-Pflichten?

Know-Your-Customer-Auflagen kosten den Finanzsektor jährlich Milliarden. Kann die Blockchain-Technologie den Aufwand reduzieren? Ein Gespräch mit Michael F. Spitz, Leiter der Commerzbank-Innovationstochter Main Incubator.

  • Auf 25 Milliarden Dollar schätzen Expertinnen und Experten die jährlichen Kosten für Know-Your-Customer-Auflagen im Finanzsektor.
  • Auf der Suche nach effizienteren und günstigeren Lösungen liebäugeln Banken unter anderem mit Blockchain-Anwendungen.
  • Michael F. Spitz, Leiter der Commerzbank-Innovationstochter Main Incubator, teilt im Interview mit EOS seine Ansichten dazu.

Herr Spitz, es gibt ja kaum ein Finanzthema, bei dem nicht jemand sagt: Das geht mit Blockchain besser. Wie gehen Sie im Main Incubator mit diesem Hype um?

Was bringt Blockchain für Know Your Customer? Michael F. Spitz, Geschäftsführer der Main Incubator GmbH, einer ausgelagerten Forschungs- und Entwicklungseinheit der Commerzbank.
Wir stellen uns einfach nur die Frage: Wie sehen Financial Services in zwei bis zehn Jahren aus? Und da gehen wir ganz agnostisch vor, wir schauen uns verschiedene Technologien an und entwickeln Prototypen. Wir haben bisher über 80 Blockchain-Anwendungen bis zum Proof of Concept gebracht. Und bei 20 davon haben wir gesehen: Da bietet uns diese Technologie keinen nennenswerten Vorteil.

Welchen Vorteil hat Blockchain denn im Bereich Know Your Customer (KYC), wo es harte Auflagen zum Beispiel durch das Geldwäschegesetz gibt?

Denken Sie an Firmenkunden: Die haben in der Regel mehrere Bankbeziehungen. Und jeder dieser Banken müssen Sie immer wieder dieselben Informationen geben, was immer wieder lästig ist. Und da bietet Blockchain die Möglichkeit, dass Sie die Informationen einmal einer Bank geben und die nächste darauf zugreifen kann.

Dafür muss aber die zweite Bank darauf vertrauen, dass die erste Bank die Angaben des Kunden geprüft hat.

Genau. Damit dieses Vertrauen entsteht, brauchen wir eine unabhängige Instanz. Denken Sie an Handelsregister oder Grundbücher: Das sind klassische, von Behörden kontrollierte und darum vertrauenswürdige Verzeichnisse, die aber immer nur ganz bestimmte Informationen haben. Beim KYC im Finanzbereich braucht man aber sehr viele Informationen, zum Beispiel darüber, ob es in der Firma politisch exponierte Personen gibt oder wer die wirtschaftlich Berechtigten sind.

Mehr Daten, mehr Verantwortung: Das bedeuten Know-Your-Customer-Vorschriften.

Der Begriff Know Your Customer bezeichnet vorgeschriebene Legitimationsprüfungen gegenüber Neukunden. Das Ausmaß, in dem Finanzunternehmen und andere Wirtschaftsbereiche die Identität ihrer Kunden prüfen und dokumentieren müssen, ist eine Folge der Anti-Terrorgesetzgebung der frühen 2000er-Jahre. Aktuell gilt in der EU die Vierte Geldwäsche-Richtlinie (EU 2015/849). Dazu kommt die DSGVO, die strengere Anforderungen an Unternehmen im Umgang mit sensiblen Daten stellt. 

Warum brauche ich für so ein Verzeichnis eine Blockchain? Warum reicht nicht eine ganz normale Datenbank, auf die berechtigte Parteien zugreifen können?

Der Vorteil einer Blockchain-Lösung besteht darin, dass die Informationen über mehrere Netzwerkknoten kommen und nicht verändert werden können. Die eine Bank bestätigt die Adresse von dem Kunden, und eine andere Bank bestätigt die Kontoverbindung von einem Kunden, und in Summe habe ich immer einen verteilt bestätigten Datensatz. Ich kann immer nachvollziehen: Woher kommt die Information? Ist sie noch aktuell? Und der Kunde kann immer sehen: Wer hat auf diese Informationen Zugriff genommen und möchte ich das überhaupt?

Für mich als Kunde ist die Datenbank also keine Blackbox, sondern ich kann bestimmen, was mit meinen Daten passiert?

Und das ist ein ganz wichtiger Vorteil, es geht hier um Ethik und Transparenz. Wir müssen den Leuten, denen die Information gehört, die Macht geben, diese Information auch zu kontrollieren, anstatt sie in irgendeine Blackbox reinzugeben. Man nennt das „Self-Sovereign Identity“: Wenn ich meine Informationen in diesem Blockchain-basierten System habe, kann ich zum Beispiel drei Banken die Information geben, wer meine Prokuristen sind. Meine Adresse gebe ich vielleicht an 15 Parteien, meine Kontoverbindung an sieben Banken für Euro-Transaktionen, für Dollar-Transaktionen aber nur an zwei Banken. 
Was Blockchain für Know Your Customer bringt: Tablet mit Charts.

Gut, aber warum sollen die Banken den Informationen aus dem Blockchain-System vertrauen?

Weil jede Information von zwei unabhängigen Dritten bestätigt worden ist. Das ist ein Wandel von einer zentralen zu einer dezentralen Instanz. Es wird viel an sogenannten Permission-Systemen geforscht: Diese sorgen dafür, dass Teilnehmer Informationen nur so einspeisen und abrufen, dass Konsens und Vertrauen entstehen. Bei populären Blockchain-Anwendungen wie Bitcoin kommt das Vertrauen daher, dass Hunderte anonyme Netzwerkknoten eine Transaktion bestätigen. Bei unseren Themen KYC und Finanzwesen werden Sie viel weniger Netzwerkknoten haben, weil dahinter eine überschaubare Anzahl von Marktteilnehmern und Institutionen steht, die sich in der Regel kennen.

Wenn Sie sagen: Institutionen, dann meinen Sie auch Behörden?

Ja. Wenn ich einem Regulator oder Stakeholdern einen Knoten in dieser privaten Blockchain gebe, sind damit all meine Reporting-Pflichten erfüllt, ohne manuelle Prozesse, ohne Papier, und das ist natürlich eine enorme Einsparung.

Aber wenn der Staat nur einer von mehreren Teilnehmern ist, wer betreibt dann diese Blockchain-basierte Vertrauensplattform? Kann das eine Bank sein?

Wenn es ihr gelingt, neben ihrer bestehenden Marke auch die Glaubwürdigkeit auf der Technologieseite aufzubauen, ja. Wir als Main Incubator sind bei Blockchain-basierten Wertpapiertransaktionen auch schon als Plattformbetreiber aufgetreten. Sie treten hier gegen Akteure wie Microsoft oder IBM an und müssen zeigen, dass Sie besser geeignet sind – aus Gründen der Sicherheit, Geschwindigkeit und Kosten. Das ist ein ganz normales Marktumfeld, das man bestellen muss.
Michael F. Spitz ist Geschäftsführer der Main Incubator GmbH, einer ausgelagerten Forschungs- und Entwicklungseinheit der Commerzbank, mit Büros in London und Frankfurt. Der Main Incubator arbeitet mit Hochschulen und der Fintech-Szene zusammen, ist als Frühphaseninvestor aktiv und betreibt ein Prototyping-Labor für Finanzinnovationen. 

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